coodoo beim Web Summit 2021: Unsere “Lessons Learned”

Dr. Eike Rautenstrauch
coodoo
Published in
10 min readDec 2, 2021

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Ein Bericht

Nachdem die Web Summit 2020 nur online stattfinden konnte, öffneten dieses Jahr wieder die Tore des Messegeländes in Lissabon für das globale Tech- und Digital-Event. Vom 1. bis zum 4. November strömten insgesamt 40.000 Teilnehmer in die Hallen — darunter 11 coodoo-Kollegen.

Volles Haus beim Web Summit

Es ging los — mit 3G und Maskenpflicht

Dass sich Unternehmen, Startups, Besucher und Investoren überhaupt wieder in der Messe-Location am Ufer des Tajo versammeln konnten, war der Hartnäckigkeit der Veranstalter rund um den Chef-Organisator Paddy Cosgrave geschuldet. Gemeinsam mit den portugiesischen Behörden erarbeitete man ein Veranstaltungskonzept, das strengen 3-G-Regeln unterworfen war. Unsere erste Erkenntnis: Davon bekam man als Gast nicht viel mit. Bei der Akkreditierung und beim Betreten des Messegeländes warfen die Volunteers zwar einen kurzen Blick auf Impf- bzw. Testnachweise, aber QR-Codes geschweige denn die Gültigkeit der Impfzertifikate wurden in unserer Gruppe nicht wirklich geprüft. Immerhin bestand die Maskenpflicht weiter. Das löste nach einem langen Tag auf der Messe bei einigen das Gefühl abfallender Ohren aus. Letztendlich hielten wir aber tapfer durch und fühlten uns sicher vor einer Corona-Infektion.

Frohen Mutes und hochmotiviert begab sich also die 11-köpfige coodoo-Mannschaft auf das Spielfeld. Dabei waren alle Positionen gut besetzt: Unser “crossfunktionales” Team bestand aus Entwicklern, Designern, Marketingexperten, Projektmanagern und Geschäftsführern. Was aber haben wir vom Web Summit mitgenommen? Worauf kommt es bei der Planung und Vorbereitung an? Und wie kommt man am besten mit Leads oder Investoren in Kontakt?

coodoo beim Web Summit 2021
Nur für das Foto ohne Maske: coodoo beim Web Summit 2021 🎉

Die Web Summit App

Bevor diese Fragen beantwortet werden, ein kurzer Rückblick: Alles begann im Oktober mit den Reisevorbereitungen. Dazu gehörte auch die Installation der Web Summit App auf dem Smartphone. Diese war einfach und intuitiv zu bedienen. Einzige Ausnahme während der Messe: Die umständliche Update-Prozedur, bei der jedes Mal wieder die Aktivierungs-PIN von Neuem eingeben werden musste (in welcher Mail war die nochmal?). Zu den Features der App gehörte eine Veranstaltungsübersicht mit Suche, ein persönlicher Terminkalender sowie die Möglichkeit, sich per QR Code Scan unkompliziert mit Kontakten auf der Web Summit zu vernetzen. So weit, so gut ✔︎.

Web Summit App
Persönlicher Terminkalender in der Web Summit App

Vorträge

Was konnte uns die Web Summit also bieten 🔍? Das Angebot an Möglichkeiten war enorm. Da waren zunächst die zahlreichen Vorträge, die in der Regel zwischen 5 und 45 Minuten dauerten und sich qualitativ stark unterschieden. Einige haben interessante Fragen zum Weiterforschen aufgeworfen. Einige waren akustisch schlecht zu verstehen, was manchmal an der Technik und manchmal am schlechten Englisch der Redner lag. In den Vorträgen ging es ganz allgemein um Software-Entwicklung, Management, Design, Marketing, Medizin, Klimawandel, Finanzen, Politik, Soziales und viele weitere Fachgebiete mit digitalem Bezug. Auf der Center Stage hatte man die Möglichkeit, prominente Gesichter der Digitalbranche wie Frances Haugen (Whistleblower Aid), Nick Clegg (Meta/Facebook) oder Tom Taylor (Alexa/Amazon) aus der Nähe zu erleben.

Erste Lesson Learned: Letztendlich erfuhr man in den Vorträgen nicht wirklich etwas Neues. Dass Facebook schlecht (Frances Haugen) bzw. unter neuem Branding gut ist (Nick Clegg), müssen Marktteilnehmer und Nutzer für sich selbst entscheiden. Dass Amazon in die Optimierung von Alexa investiert, dürfte auch niemandem vom Hocker hauen. Lediglich der Schritt von der Artificial Intelligence zur Ambient Intelligence war gelungenes Marketingsprech, um die Entwicklung von Alexa zu einem ständigen Begleiter im Alltag und Haushalt zu unterstreichen.

Welche Vorträge sich lohnten

Daher sollte man den Fokus nicht auf die Web Summit Vorträge legen, sondern diese immer mal wieder zwischen dem Networken (siehe unten) besuchen, um den Kopf frei zu bekommen und sich über das ein oder andere interessante Thema zu informieren. Ganz besonders dazu geeignet waren für uns die Dinge, die ehemalige Sportler zu berichten hatten. Von denen waren einige vertreten: Als Schirmherr präsentierte Thierry Henry eine neue Plattform gegen Cyber Bullying. Wladimir Klitschko zeigte, wie sein Family Office erfolgreich in Disruptive Technologien investiert und Garry Kasparov nahm sich neben zwei Vorträgen ganz locker die Zeit, 10 Schachsspiele gleichzeitig gegen nicht unerfahrenene Besucher zu spielen. Natürlich hat sich der Großmeister keine Blöße gegeben und alle Partien gewonnen (woran im Vorfeld wohl die wenigsten gezweifelt hatten ♟).

Dieser junge Mann schlug sich tapfer gegen den ehemaligen Schachweltmeister Kasparov

Aus dem Blickwinkel der Produktentwicklung bzw. -vermarktung erwähnenswert (und damit auch für uns) waren die Vorträge von Influencern und Marketing-Experten, die die Medialisierung des Content Marketings behandelten. Der Trend geht zu Audio und Video auf den einschlägigen Plattformen wie Instagram oder TikTok. Reine Texte sind tot (aber bitte trotzdem diesen Artikel weiterlesen 😉). Interaktiver Content hin oder her, das Mantra des Content Marketings hat sich nicht verändert: Man muss seine Zielgruppe kennen und regelmäßig Content “raushauen”, bevor man ein Produkt weiterentwickelt, um zu verstehen, ob und wie es sich vermarktet.

Brandaktuelles Thema: Homeoffice

Die Frage nach den Vor- und Nachteilen des Homeoffice bzw. der Remote-Arbeit wurde in einigen Vorträgen heiß diskutiert. Natürlich konnte keine finale Antwort gefunden werden, was für die IT-Branche denn nun am besten sei. Dies hänge immer individuell von Prozessen und Projekten innerhalb eines Unternehmens ab. Fakt ist, dass wir noch eine ganze Weile mit hybriden Modellen leben werden. Und es ist bereits jetzt abzusehen, wie tiefgreifend sich die Arbeit in der Softwareentwicklung und in anderen Branchen durch Covid-19 verändert. Einen ersten Eindruck von Software, die das Arbeiten von zuhause vereinfachen und “virtualisieren” soll, konnte man auf der Web Summit bereits gewinnen. Das Facebook Metaversum bildet nur die Spitze des Eisbergs. Trends wie Virtual Reality und Gamification halten auch Einzug in die Arbeitswelt.

Erfrischend ehrlich und passend waren in diesem Kontext die Verfechter der Büroarbeit, die darauf hinwiesen, wie wichtig das Zusammenkommen an einem Arbeitsort ist, um Kreativität und Produktivität freizusetzen und gemeinsam Projekte zu stemmen — ganz abgesehen von der Pflege sozialer Kontakte.

Spaß im Büro
Spaß im Büro ist nicht zu unterschätzen

Wir haben gelernt, dass die Pandemie sogar neue Berufsfelder geschaffen hat: Der Head of Remote Work organisiert die Arbeit von zuhause in allen Bereichen. Der Employee Experience Manager hingegen erfindet sich neu, indem er Kollegen in Zeiten von Homeoffice den Büroarbeitsplatz schmackhaft macht oder ganz covid-konforme Teambuilding-Events organisiert, was ein besonderes Maß an Erfindungsreichtum erfordert, um den Kollegen trotz aller Corona-Einschränkungen etwas Unvergessliches zu bieten. Ebenfalls ein Geheimtipp waren die Vorträge der Regierung Portugals, wie man das Land weiter für die Zukunft rüsten möchte und zu einem führenden Standort für die IT-Branche machen will.

Terminplanung

Schwierig war bisweilen nur die Organisation des eigenen Terminkalenders, da vielversprechende Vorträge oft parallel liefen oder man nicht viel Zeit hatte, von einem Event zum anderen zu kommen. Die manchmal langen Distanzen zwischen den Bühnen taten ihr Übriges dazu bei. Eine Lektion, die ich schmerzlich lernen musste, war das richtige Lesen des Messeplans. Es ist nicht lustig, einmal über das ganze Messegelände zu laufen, nur um dann zu merken, dass ein Vortrag dort stattfindet, wo man gerade herkam 🤦🏻‍♂️.

Den Messeplan und die Standorte der Bühnen und Stände verstehen :)

Master Classes und Roundtables

Bereits im Vorfeld der Messe war es möglich, sich über die Web Summit App zu Master Classes und Roundtables von 30–60 Minuten Länge anzumelden. Dabei handelte es sich um teilnehmerbegrenzte Seminare (in unseren Veranstaltungen zwischen 40–100 Besucher), die sich mit einer bestimmten Problem- bzw. Fragestellung beschäftigten. Bei den Master Classes war meist ein klarer Bezug zur Software-Entwicklung bzw. zu Business- bzw. Marketing-Themen gegeben: Bspw. wurde geforscht, warum Startups auf AWS setzen oder wie man ein erfolgreiches MVP in der Cloud baut. Die Roundtables beschäftigten sich eher mit breiter gestreuten Inhalten wie Coaching und Motivationstraining, UX und Design, Remotearbeit, Controlling und Budgetplanung.

Die erfolgreiche Anmeldung gestaltete sich allerdings schwierig. Wer nach dem Launch der App nicht schnell genug war, bekam nur noch den Hinweis, dass das Seminar bereits ausgebucht sei. Dagegen half frühes Erscheinen: Wenn man mit etwas zeitlichem Vorlauf bei der gewünschten Veranstaltung vorbeischaute, konnte man in der Regel einen Restplatz ergattern — Lesson Learned. Leider war dann die Teilnahme nicht so interaktiv, wie man es von Workshops her kennt, was auch mit den Räumlichkeiten zu tun hatte. Es konnte keine Schulungsatmosphäre aufkommen, da gefühlt zu viele Teilnehmer mitmachten. Außerdem war man trotz Absperrung immer noch der Lautstärke in den Messehallen ausgesetzt, wogegen auch Kopfhörer nur bedingt halfen. Begleitmaterial und Diskussionen kamen oft zu kurz und erschwerten eine produktive Auseinandersetzung mit einem Problem.

Volle Master Class aus dem Bereich “Startup”

Networking

Und nun zum wichtigsten Aspekt des Web Summit: Networking. In den vier großen Hallen präsentierten sich Unternehmen und Startups an ihren Ständen. Hier konnte man als Besucher also direkt mit Ausstellern, Leads und Investoren in Kontakt kommen. Dabei hatten es die Investoren am einfachsten: Wer einen Investor-Badge um den Hals hängen hatte, wurde hofiert. Als bloßer “Attendee” musste man proaktiv auf Menschen zugehen. Daraus ergaben sich für uns zwischendurch immer wieder interessante Gespräche, aber kaum tiefere Geschäftschancen.

Begrenzte Ausstellungszeiten

Eine Strategie musste her. Eine Strategie, die zumindest in meinem Fall am Ende nicht aufging. Bei Durchsicht der Stände auf dem Messeplan in der App waren durchaus ansprechende Firmen und Startups dabei. Dort fand ich Gesprächspartner in Bereichen, die für uns businessrelevant sind, wie z.B. Flutter. Trotzdem sind mir diese durch die Lappen gegangen, und zwar weil sie plötzlich verschwunden waren. Ich wollte es besonders schlau machen: Am ersten Messetag hatte ich mir erstmal eine Übersicht verschafft und vielversprechende Angebote mit Standort fotografiert, um dort am Folgetag noch einmal in Ruhe vorbeizuschauen — nur um dann festzustellen, dass über Nacht vor allem bei den kleineren Ständen komplett “durchrotiert” wurde und am Tag drauf ganz andere Aussteller präsent waren. Networking Error…

Flutter Startup
Ein exotisches Flutter Startup, das sich am Folgetag in Luft aufgelöst hatte

Lesson Learned: Man sollte also bei der Planung des Besuchs unbedingt beachten, dass gerade die Startups oft nur einen Tag vor Ort sind. Diese also schnell ansprechen! Information dazu finden sich pro Aussteller in der Web Summit App, wenn auch versteckt auf den Detailseiten der Unternehmen.

Networken 2.0

Alles in allem wäre ein eigener Stand aber immer noch die Ideallösung, bspw. gefördert durch Länder- oder Bundesinitiativen und direkt in den größeren Deutschland-Pavillon integriert. So könnte man mit einem kleinen “Sales Team” Content zu den eigenen Produkten präsentieren und Kunden akquirieren — also klassischen Direktvertrieb betreiben. Dass nicht jedes Unternehmen einen eigenen Stand haben kann, versteht sich von selbst. Eine Alternative dazu wäre, im Vorfeld der Messe das Programm und die Aussteller über die App genau zu studieren und frühzeitig Gesprächsanfragen rauszuschicken, um dann zumindest über diesen Weg gezielt mit potenziellen Kunden oder Investoren ins Gespräch zu kommen. Oder man fängt das Rauchen an, denn die besten Kontakte mit Aussicht auf eine Zusammenarbeit haben wir in den Raucherpausen außerhalb der Hallen bzw. beim Essen in den Food Summit Arealen getroffen 🚬. Wenn man in der Mittagspause erstmal einen Sitzplatz bekommt, kann es trotz der vielen Menschen sogar gemütlich werden.

Networking war nicht immer einfach auf der Web Summit

Auch der Night Summit bot Gelegenheit, um Kontakte zu knüpfen. Nach dem Schließen der Messetore konnte man sich auf Events in den zahlreichen Bars und Clubs Lissabons weiter vernetzen. Das haben wir bewusst ausgelassen, da wir unsere gemeinsame Zeit lieber dazu nutzen wollten, Portugals schönste Stadt auf eigene Faust zu erkunden.

Durchatmen nicht vergessen

Letztendlich sollte man sich auch nicht “totnetworken”. Auf einer Tech-Messe gibt es immer etwas zu entdecken! Es lohnt sich allemal Aussteller anzusprechen, die einem abseits vom Business interessant erscheinen. So kann man etwas durchatmen und den Horizont erweitern. Wir haben bspw. eine App getestet, die virtuelle Stadttouren mit lokalen Guides anbietet oder den “Feelbelt” angelegt, der Audiosignale aus Songs, Filmen oder Videospielen in haptisches Feedback umwandelt. Darüber hinaus gab es in den großen Hallen viel zu entdecken wie z.B. ein Vorkochen mit Verkostung (auch hier gilt: früh da sein!). Nur an ausgewiesenen Ruhebereichen bzw. Chillout-Areas, die man von großen Messen kennt, hat es gemangelt…

Entspannen bei einer Partie Solitaire

Unsere “Lessons Learned”

Was haben wir also nun für uns mitgenommen und gelernt? Der Web Summit ist primär zum Networken da! Vorträge, Lightning Talks, Master Classes und Roundtables sind ganz nett um den Wissenshorizont zu erweitern, aber haben uns persönlich nichts absolut Bahnbrechendes offenbart. Immerhin konnten wir uns hier Impulse zum Nachdenken über einige Themen wie z.B. unsere Content-Marketing-Strategien holen.

Ideal zum Networken wäre ein eigenener Stand, was natürlich für viele Besucher keine Option darstellt. Nichtsdestotrotz kann man immer eine kleine Gruppe verkaufsaffiner und gut vorbereiteter Mitarbeiter auf die Web Summit schicken, um Kaltakquise zu betreiben. Dazu sollte man sich im Vorfeld passende Unternehmen und Gesprächspartner heraussuchen und diese über die App (oder auch per Mail und Telefon) kontaktieren, um frühzeitig Termine auszumachen. Dabei nicht vergessen zu checken, wann der Ansprechpartner mit seinem Stand in den Messehallen präsent ist! Der Night Summit ist optional. Besser ist es ohnehin, sich Zeit zu reservieren, um Lissabon gemeinsam mit den Kollegen zu erkunden.

Zwischendurch kann man sich auf der Messe Networking-Pausen gönnen, in denen man spannende Vorträge oder Stände besucht. Für Master Classes und Roundtables früh anmelden bzw. früh erscheinen! Letztendlich sollte man sich hier aber auf volle Kurse und wenig Mitmachmöglichkeiten einstellen. Ein Muss bei der Programmplanung: Im Vorfeld der Messe das Angebot in der App durchgehen und den persönlichen Terminkalender nutzen. Dabei genug Freiräume zwischen dem Networken und sonstigen (Pausen-)Aktivitäten lassen, da das Gelände sehr weitläufig ist. Hier lohnt es sich bereits die Termine so zu legen, dass man lange Fußmärsche vermeidet.

Das wichtigste Fazit bleibt aber: Die besten Kontakte trifft man in den (Raucher-)Pausen, also einfach mal auf Menschen zugehen und ansprechen!

In den Pausen die Augen offen halten nach charismatischen Kontakten 😄

Zum Weiterlesen

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I am Project Manager at coodoo. I talk with our customers in order to understand their needs and to help building the best software for them.